Anfang 2022 ging die Initiative #OutInChurch an die Öffentlichkeit: 125 Mitarbeitende der katholischen Kirche outeten sich öffentlich in der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ und sprachen über ihre Erfahrungen als queere Menschen in der katholischen Kirche. Pfarrer Stefan Spitznagel war einer davon. Am Dienstag, 7. März 2023, berichtete er uns von seinen Erlebnissen und dem aktuellen Stand ein Jahr nach der Veröffentlichung.

Vor kurzem traf sich die Initiative das erste Mal persönlich, erzählt Pfarrer Spitznagel. Nach zwei Jahren Online-Abstimmungen konnten sich die Beteiligten endlich vor Ort kennenlernen und die weiteren Schritte planen. Nun wurde ein Verein gegründet, um rechtlich abgesichert zu sein, und wirksamer werden zu können.
Denn obwohl seit 1. Januar 2023 das kirchliche Arbeitsrecht geändert wurde, wonach die sexuelle Orientierung nun keinen Einfluss mehr auf Einstellung und Kündigung haben darf, sind die Ziele der Initiative noch lange nicht erreicht. „Das Arbeitsrecht zu ändern, ohne die Sexualmoral zu ändern, schafft nochmal ein neues Dilemma und zeigt die Doppelmoral der Kirche“, sagt Pfarrer Spitznagel. Es ist nun zum Beispiel nach dem Arbeitsrecht der Kirche legal, als homosexuelles Paar standesamtlich zu heiraten, gleichzeitig lebt man nach der Sexualmoral in Sünde und eine kirchliche Hochzeit ist noch immer nicht möglich.

Eine der weiteren Forderungen von #OutInChurch ist somit, die Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität zu revidieren. „Mit dem neuen Arbeitsrecht wackelt das Zölibat noch nicht, daher wird dort begonnen“, vermutet Pfarrer Spitznagel. Aber in der Konsequenz müsse auch das kommen, doch:

„Warum sich in der katholischen Kirche so wenig ändert, liegt ja daran, dass wenn eine Karte herausgezogen wird, das ganze Kartenhaus zusammenbricht. Daher wehren sich die Bischöfe gegen alles, wollen an keiner Ecke Zugeständnisse machen, da es sonst zu einem Domino-Effekt führt.“

Pfarrer Stefan Spitznagel

Auch wenn der 63-Jähirge skeptisch ist, dass er das noch erleben wird, kämpft er mit vielen anderen für diese umfassenden Veränderungen: „Das Ziel der ganzen Aktion ist natürlich, dass sie selbst nicht mehr nötig ist, dass sie sich überflüssig macht.

Die Initiative #OutInChurch hat sich daher vorgenommen, in den nächsten Monaten den Blick zu weiten: Man will sich international vernetzen, auch weitere Formen der Diskriminierung in den Blick nehmen, in Bildungsarbeit investieren und die Gruppen vor Ort unterstützen. Denn nicht nur die Kirchenleitung bremst, auch innerhalb der Christengemeinschaft gibt es verschiedene Ansichten. Ein Teilnehmer des Abends formuliert seine Meinung spitz: „Es gibt zwei Gruppen von Gläubigen: Die einen wollen sich der Welt stellen, die anderen nicht.“ Aber er gibt zu: „Das binäre Denken steckt auch tief in mir drin und ich habe lange gebraucht, um lernen zu dürfen, dass das nicht alles ist.“

Angesprochen auf seinen Mut, bei der Initiative mitzumachen und sich öffentlich als schwuler Priester zu outen, entgegnet Spitznagel: „Ich riskiere nichts. Bloß weil ich mich öffentlich oute, wird mich der Bischof nicht entlassen.“ Und provokant fragt er gegen Ende des Abends: „Wir kämpfen für eine Kirche ohne Angst – aber wer hat hier eigentlich vor wem Angst?“

Übrigens:

Am 21. März 2023 ist Hochschulpfarrer Burkhard Hose um 19 Uhr in Göppingen zu Gast. Der Theologe ist ebenfalls Mitglied von #OutInChurch und liest an dem Abend aus seinem Buch „Warum wir aufhören sollten, die Kirche zu retten“. Die Teilnahme ist vor Ort in der Barbarossa-Buchhandlung oder online möglich.